Die Geschichte vom marokkanischen «Wüstenmarketing»

Gedanken zu neuen Marketingstrategien auf marokkanisch…;-)

 

Keinesfalls möchte ich euch mit meinem Bericht und den Weisheiten zu obigem Thema langweilen, zumal wir ja bekanntlich alle wissen, dass jede Markterschliessung, bzw. Produkteinführung eigenen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist. Nachfolgende Geschichte jedoch soll auch nicht so verstanden sein, als würde ich hier als „Westler“ alles besser wissen und auch gleichwohl noch das afrikanische System hinterfragen zu wollen. Nein, das hier vorgestellte Konzept könnte in späteren Jahren auch bei uns eventuell Erfolg versprechend sein…

Um euch an die für diese Geschichte zwingend notwendige (geographische) Einstimmung heranzuführen sei mir ein kleiner Exkurs gestattet.

Geographisch befinden wir uns N 30° 52, 468, W 03° 21,625, mit andern Worten, mitten in einer Stein –Wüste und nehmen Kurs auf das landschaftlich wunderschöne Sandwüstengebiet des Erg Chebbi. Die Hitze ist beinahe unerträglich und doch freuen wir uns nach einem harten Tag endlich ein schönes Nachtlager in den Dünen finden zu können. Nach kurzer Suche des Einstieges, lassen wir an unseren Reifen die Luft ab und stechen in den Sand. Die Motoren heulen auf, als wir die hohen Sandberge erklimmen. Einige Kehren noch und wir sind mitten in paradiesischer Umgebung. Wir alle sind uns einig, hier lässt sich ungestört ein Nachtlager errichten. Stühle ausgepackt, ein kühles Bier auf dem Tisch stehend, so lässt es sich leben! Wie üblich lassen wir in friedlicher Runde den Tag Revue passieren und sind mit der heute erbrachten Leistung zufrieden. Alle freuen sich auf den bevorstehenden glühend roten Sonnenuntergang, als plötzlich und aus dem Nichts eine Gestalt auf der benachbarten Düne auftaucht. Mit breitem Grinsen ruft der Unbekannt uns ein frohes „Bon jour“ entgegen. Etwas erstaunt und leicht entsetzt zugleich erwidern wir den Gruss. Reisende soll man freundlich bewirten denken wir bei uns und laden den Unbekanten in unser Camp ein. Bald wird uns klar, dass es mit der Ruhe (und dem Sonnenuntergangsspektakel) wohl schon bald vorbei sein dürfte, denn alsbald taucht ein weiterer Dünenbewohner mit einem Kännchen „Marokkanischen Whisky“ (Mint-Tee) auf. Woher, zum Geier, kommen diese Menschen so urplötzlich und wie vor allem, haben sie uns bemerkt? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, wenn es zu solch unverhofften Begegnungen kommt. Bis heute ist mir zu diesem Phänomen keine gescheite Antwort eingefallen. Irgendwann ist die Sonne dann doch unter gegangen (leider ohne uns…) und unsere neu gewonnenen Wüstenfreunde konnten mit viel Feingefühl und einem unsererseits nicht ernst gemeinten „à demain“ verabschiedet werden. Die Nacht brach herein und die erhoffte Ruhe kehrte zurück.

Andern morgens, Allah wollte es wohl so, wachte ich als erster auf und stieg noch etwas schlaftrunken die Leiter unseres Dachzeltes hinunter. Dem Sonnenstand zufolge konnte es noch nicht 0700 Uhr sein und meine Blase machte sich akut bemerkbar. Wie in der „Prärie“ üblich, konnte man sich den Platz aussuchen, was sich bis anhin nie zu einem grösseren Problem entwickelt hatte. Heute entschied ich mich Richtung Nordnordost zu laufen. Die angestrebte Düne lag bereits im Morgenlicht als ich nur kurz an eine Fata Morgana zu glauben schien. Doch meine noch leicht schläfrigen Augen haben sich offensichtlich nicht getäuscht. Tatsächlich, da sass auch schon ein Wüstenmensch. Nicht genug damit, vor ihm lag sein reichhaltiges Warenangebot feinsäuberlich aufgereiht im Sand. Als er erkannte, dass ich ihn erblickte, erhellten sich seine Augen und unvermittelt setzten die Händlerinstinkte ein. Rasch wurden die offensichtlich gewinnbringendsten Waren in der ersten Reihe positioniert und mit einem etwas scheuen „S’allam“ schien sich sein erstes Geschäft des Tages anzubahnen. Ohne dem geschäftstüchtigen Kaufmann zu nahe treten zu wollen, doch schien es, dass ihm wohl schon zu Beginn der Markteinführung seiner Produkte ein gravierender Fehler unterlaufen ist. Denn der vor ihm stehende (und zu diesem Zeitpunkt einzige) Kunde war weder passend gekleidet (bloss in Unterhosen lassen sich schlecht Verhandlungen aufnehmen und kalt war mir übrigens auch…), noch war ohne Kaffee und mit dem Gedanken, meine Notdurft noch nicht verrichtet zu haben, die grundlegendsten Voraussetzungen nicht geschaffen. Dies schien ihn jedoch nicht sonderlich zu beeindrucken und sein freundliches Lächeln (oder war es das reine Mitleid) liess für den Fortgang meines Morgens nichts gutes zu verheissen. In leichter X-Bein-Stellung machte ich ihm klar, dass ich nicht gewillt war in den nächsten zwei Stunden seine Auslagen zu bewundern. Mit viel Mühe gelang es mir auch, seinen „Souk“ eine Düne weiter entfernt zu positionieren, was ihm offensichtlich nicht sonderlich gefiel, da dadurch seine „Polposition“ gefährdet war. So nach und nach wachten auch meine Mitreisenden auf und sahen sich mit demselben, jedoch leicht entschärften, aber dennoch latent vorhandenen Problem konfrontiert, denn der Wüstenmann genoss es offensichtlich aus leicht erhöhter Position, dem für ihn fremden morgendlichen „Bleichgesichterritual“ beizuwohnen. Wie aus dem Nichts und für mich unverständlich wie sich unsere Anwesenheit herumgesprochen haben konnte, tauchten nach und nach weitere „ansiedlungswillige Geschäftsleute“ aus den weiten Dünen auf. Es sei hier nochmals in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass es im Umkreis von min. 15 km KEINE uns bekannten Siedlungen geben konnte. Innerhalb einer halben Stunde hat sich oberhalb unseres Nachtlagers eine stattliche Einkaufsstrasse von immerhin FÜNF!!!!! Detailhandelsgeschäften „à l’Afrique“ etabliert. Fein säuberlich aufgereiht auf der Düne lagen sie nun, die Bastkamele, die Halsketten à la Gucci, die gefälschten Fossilien, die Brieföffner, die Briefbeschwerer, die weiss zum Geier was… und warteten auf wen??? => DIE KUNDEN, also auf UNS!!!!

Was sich in den nächsten 1 ½ Stunden abspielte war derart grotesk, dass eine genauere Umschreibung hier nicht möglich ist. Kurz gesagt, die Wüstenmänner durften erleben und offensichtlich fasziniert mit ansehen, wie sich Europäer am Morgen begrüssen, den Frühstückstisch decken, Essen einnehmen, Geschirr abwaschen, sich rasieren, sich anziehen, pinkeln, ihre Betten machen u.s.w., u.s.w…

Für die geschäftstüchtigen Kaufleute hat sich dann jedoch zwangsläufig herausgestellt, dass sich ihr unternehmerischer Wagemut, hier einen neuen Markt zu erschliessen, wohl als Fehlinvestition erwiesen haben dürfte. Bis heute weiss keiner (auch ich nicht) so richtig, woran es gelegen haben möge. War nun die Strategie „Angebot schafft Nachfrage“ oder doch die andere These „Nachfrage schafft Angebot“ fehlgeschlagen.

Eigentlich spielt es auch gar keine Rolle, was den Ausschlag gegeben hatte, weshalb es nicht funktionierte. Wichtig war doch, dass alle, Kunde UND Händler, etwas gelernt haben, oder? Und wie heisst es hier so schön: Morgen, vielleicht, klappt es besser… In sha’allah!!!

Ich wünsche euch einen schönen Tag… Und Vorsicht beim nächsten Aufstehen! Vergewissert euch, dass bei euch der Wüstenmann nicht auf der Düne steht 😉

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